Via Silenzi – auf dem Pfad der Stille. Mit den Schneeschuhen von Unterengadin ins Val Müstair.

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Einleitung

«Patgific» bedeutet gemütlich und ist die Bündner Art das Leben zu entschleunigen. Die mehrtägige Schneeschuhtour Via Silenzi, die von Scuol zum Ofenpass führt, trifft genau dieses Lebensgefühl. Die Schneeschuhtour ist ein Abenteuer, das auf naturnahen Pfaden über das Unterengadin ins Val Müstair führt. Dorthin, wo absolute Stille herrscht.

Unterengadin – Val Müstair

Das Unterengadin ist ein ruhiges Tal mit Scuol als Zentrum. Im Winter ist die Region besonders still. Entlegene Täler, ausserhalb des Schweizerischen Nationalparks, können mit den Schneeschuhen entdeckt werden. Die Natur, weit weg von der Zivilisation zu erleben, ist eine Erfahrung, die bleibt.

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Der Arvenwald God da Tamangur.

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Höchstgelegener Arvenwald

Da liegt er vor einem. In seiner ganzen Pracht. Obschon die Erwartungen an ihn riesig waren, verschlägt es einem die Sprache, wenn man ihn zum ersten Mal sieht. Der Arvenwald God da Tamangur ist genauso geheimnisvoll und eindrücklich wie sein Name. Im höchst gelegenen, zusammenhängenden Arvenwald Europas kann sich die Natur völlig frei entwickeln. Bäume werden keine mehr gefällt und Abgestorbene liegen gelassen. Die Baumgestalten sind ein traumhaftes Ziel für Schneeschuhwandernde, gleichzeitig hat der Wald für Einheimische eine grosse Symbolkraft. Die Rätoromanen besingen den Kraftort und es gibt Gedichte über ihn. Der God da Tamangur steht für Stärke, für Hartnäckigkeit und Überlebenswille.

«Dem alten Wald, der nach und nach zerfällt,
gleicht sehr unsere liebe Sprache,
die aus dem einstigen, weiten Raum
in die heutigen, engsten Grenzen zurückgedrängt ist.
Wenn die Rumantschen nicht alle ihre Pflicht tun,
wird es mit ihr aus sein, wie mit Tamangur.»

Peider Lansel

Ein Specht hämmert in der Ferne, ein Kolkrabe krächzt und kündigt die Schneeschuhgruppe an. Demütig wandert Chantal Lörtscher und ihre Teilnehmenden durch die knorrigen, zerzausten und struppigen Bäume. Einige Bäume trotzen Wind und Wetter sowie extremen Temperaturschwankungen seit beinahe 800 Jahren. Die kleine Gruppe saugt den Zauber des Waldes auf 2300 Metern über Meer auf, bevor sich die Landschaft öffnet.

Stille.

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Chantal Lörtscher ist eine erfahrene Wander- und Schneeschuhleiterin. Sie kennt die Via Silenzi, auf der sie sich befindet, wie ihre eigene Hosentasche. Dutzende Male hat sie die unberührte Winterlandschaft durchwandert und jedes Mal entdeckt sie Neues.

Am liebsten mache ich die Via Silenzi im tiefen Winter, dann ist sie am stillsten.
Chantal Lörtscher

Nach der Alp Astras geht es durch eine Landschaft, in der nichts zu sehen ist, dass von Menschenhand gemacht ist. Schneeverfrachtungen, eine Art Winterwüste; in einer Felswand sucht ein Steinbock nach Nahrung. Die Gruppe läuft seit Stunden gleichmässig. Sie hat ihren Rhythmus gefunden.

Das Knirschen unter den Schneeschuhen, das gleichmässige Gehen, das hat etwas fast Meditatives.
Chantal Lörtscher

Die Schneeschuhlaufenden stapfen leicht bergauf bis zum Pass da Costainas, dem höchst gelegen Punkt des Tages. 

Das Abenteuer beginnt mit zwei Pferdestärken.

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Die mehrtägige Schneeschuhtour hat tags zuvor begonnen. Gemächlich und charmant ging es auf Kufen per Pferdeschlitten von Scuol nach S-charl. Das Dorf steckt tief im Winterschlaf. Während den ersten Wintermonaten erreicht den Ort kein einziger Sonnenstrahl. Erst am 6. oder 7. Februar dringen die ersten Strahlen in den Speisesaal des Gasthauses Mayor. Das erzählt Dominique Mayor, der es führt. Er ist einer von zwei Menschen, die das ganze Jahr in S-charl wohnen und immer für Gäste da ist. Einsam fühle er sich nie, ganz selten sei er allein. 

«Egal ob Fuchsjäger oder Schneeschuhläuferin, alle kommen zu uns wegen der Ruhe.»

Dominique Mayor

Chantal Lörtschers Gruppe hat im Mayor die erste Nacht verbracht. Früh steht sie am nächsten Morgen am Dorfrand und führt mit ihren Teilnehmenden den LVS (Lawinen-Verschütteten-Suchgerät) -Check durch. Ein LVS gehört nebst Schaufel und Sonde in jeden Rucksack. Das ist Chantal Lörtscher wichtig. Sie plant jede Tour minutiös und klärt die Schnee- und Lawinensituation genaustens ab. Je nachdem legt sie die Route anders.

Der Alltag ist weit, weit weg.

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Lässt man S-charl hinter sich, ist man «wie weg». Weg von allem. Weg vom Alltag. Da sind nur noch die Geräusche der Schneeschuhe, der glitzernde Schnee, ein vereistes Bächlein namens Clemgia.

Die wilde Natur hat das Steuer übernommen. Und Chantal Lörtscher lässt ihr viel Raum. Dieser wirkt sich auf die Gruppe aus. Sie ist achtsam.

Achtsam sind die Teilnehmende vom Pass da Costainas immer noch. In sich gekehrt. Eins mit der Bergwelt im funkelnden Winterkleid. Vom höchsten Punkt geht es bergab in die kleine Ortschaft Lü. Jetzt sind wir im idyllischen und abgelegen Val Müstair. Lü bedeutet Licht. Und weil es in der Nacht davon so wenig gibt – Lü gilt als einer der Orte mit der tiefsten Lichtverschmutzung weltweit – scheinen die Sterne zum Greifen nah.

Das Schaulaufen der Wildtiere.

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Die zweite Übernachtung ist dann im lieblichen Sta Maria im B&B Alpina. Der Folgetag steht dann ganz im Zeichen der Wildtiere.

Chantal Lörtscher weiss genau, wo diese im Winter nach Nahrung suchen. Doch bevor es so weit ist, müssen noch einige Höhenmeter überwunden werden. Mit den ersten Sonnenstrahlen geht es wieder raus in die unberührte Winterlandschaft, vorbei an der bewirteten Alp Champatsch hoch zum FuorclaFuntana da S-charl. Ein wenig später, im Gebiet oberhalb PlaundalsBovs, packt sie ihren Feldstecher und ein Fernrohr aus. Es dauert nicht lange, bis in der Felswand Gämsen und Steinböcke zu sehen sind. Sie scharren nach essbarem oder wärmen sich an der Sonne. Chantal Lörtschers Gruppe bestaunt die Tiere durch das Fernglas. Den Wildtieren ihren Platz lassen, sie auf keinen Fall stören, die Wildschutzzonen respektieren, das ist ihr ein grosses Anliegen. Plötzlich grosse Spuren im Neuschnee.

«Das sind frische Spuren von einem Wolf. Er muss gestern Nacht hier gewesen sein.»

Chantal Lörtscher

Es soll nicht das einzige seltene Wildtier bleiben an diesem Tag. Auf einmal kreisen Bartgeier über den Köpfen der Schneeschuhgruppe. Das Schaulaufen der Wildtiere nimmt kein Ende. Der Tag dann irgendwann schon. Im gemütlichen Hotel SüsomGive auf dem Ofenpass.

Und irgendwann nimmt dann auch die Via Silenzi ein Ende. Obschon man die Tour auf vier Tage ausdehnen kann. Was bleibt, ist die Stille. Das wird einem spätestens bewusst, wenn man wieder im Zug zurück in den Alltag sitzt und gleich das nächste Erlebnis im «Patgific-Kanton» planen möchte. Allerdings bleibt diese Stille eine Weile in einem. Es ist ein Gefühl, woran man sich in der Zivilisation gerne zurückerinnert und sich dadurch erden kann.